und wenn ein Lehrkind aufgedingt wird, soll es der Bruderschaft einen Gulden und ein Viertel Wein geben - Ausbildung der Sticker/innen
Geschrieben in Sticken am 25.06.2017 von Eva-Maria
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.
Paris
In den Statuten der Sticker/innen von Paris von 1292 wurde die Lehrlingsausbildung folgendermaßen geregelt:
- Kein Meister oder Meisterin darf mehr als einen männlichen und einen weiblichen Lehrling zugleich haben, oder eine/n weiteren Auszubildende/n des gleichen Geschlechts aufnehmen, bis der bereits vorhandene männliche oder weibliche Lehrling in das letzte Lehrjahr eintritt.
- Kein Zunftmitglied darf einen Lehrling (männlich oder weiblich) für weniger als 8 Jahre Lehrzeit verpflichten –egal, ob der-/diejenige das Lehrgeld dafür bezahlen kann oder nicht. Er/Sie darf jedoch länger ausgebildet werden, wenn er/sie dies wünscht.
- Zudem gab es noch Regelungen, die den Lehrling vor Missbrauch oder Vernachlässigung durch den Lehrherren/die Lehrherrin schützen sollte.
- Die Lehrherren/Lehrherrinnen mussten selbst Meister ihres Handwerks und in der Zunft anerkannt sein, d.h. ihre Arbeit musste von den Vorstehern der Zunft begutachtet und als den geforderten Qualitätsstandards entsprechend befunden worden sein. Auch mussten sie selbst eine Lehrzeit absolviert haben.
- Nach erfolgreicher Abschluss der Lehrzeit konnte der/die Geselle/Gesellin weiterhin für den Ausbildungsbetrieb arbeiten oder ein Jahr und einen Tag später selbst zum/zur Meister/in werden. (Allerdings war das Eröffnen eines Betriebs und der Aufwand für Unterkunft, Kleidung und Versorgung der Lehrlinge sowie die Materialkosten für den Aufbau eines Stickbetriebs nicht unerheblich. Daher gab es in den Städten, die Stickereibetriebe beherbergten, oft regelrechte Familiendynastien von Stickern, welche die nötigen finanziellen Mittel dafür besaßen. )
Kay Staniland: Medieval Craftsmen – Embroiderers, British Museum Press, 2006.
London
Im 15. Jahrhundert war es in London beiden Geschlechtern erlaubt, Lehrlinge auszubilden und nur eine Registrierung war Pflicht. Das Stadt-Statut von 1407 regelte, dass Familien, die in ihrem Gewerbe weniger als 20 Schilling verdienten, ihre Kinder (es wird von Söhnen und Töchtern gesprochen) nicht in die Lehre schicken durften. Auch aus Testamenten geht hervor, dass Töchter ebenfalls in die Lehre gingen. Meist absolvierten die weiblichen Lehrlinge eine Ausbildung zur Täschnerin, Seidenzwirnerin oder Stickerin. Die Mädchen konnten zwar bei Männern wie auch bei Frauen in die Lehre gehen, allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die Mädchen in der Obhut der Ehefrauen waren, falls deren Lehrmeister ein Mann war. Nach Beendigung ihrer Lehre konnten Frauen den erlernten Beruf ausüben.
Eileen Power, Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann? Das Leben der Frau im Mittelalter. Berlin 1984. Seite 70-71.
Einen Einblick in das Lehrlingsdasein geben erhaltene Akten aus dem London von 1369 zum Fall Alice Catour. Sie war dem Sticker Elias Mympe (nachweisbar in verschiedenen Dokumenten zwischen 1367 und 1384, der zu seinem Karriereende ein bedeutendes Mitglied der Stickereizunft war) für fünf Jahre in die Lehre gegeben worden. Da sie allerdings geschlagen und mißhandelt worden war, wandte sich ihr Vater an den Londoner Bürgermeister und die Ratsherren, um den Lehrvertrag auflösen zu lassen. Am Ende wurde Alices Lehrvertrag revidiert und sie in die Vormundschaft ihres Vaters zurückgestellt. Mympe bezahlte ein Bußgeld von 13s. 4d. und kam noch glimpflich davon, da er das Mädchen nicht nur für weniger als die geforderten 7 Lehrjahre angenommen, sondern zudem auch verabsäumt hatte, den Ausbildungsvertrag bei den Stadtvätern zu hinterlegen.
Glyn Davies: Embroiderers and the Embroidery Trade, in: English medieval embroidery: opus anglicanum,
Clare Browne , Glyn Davies, M. A. Michael, Yale University Press, 2016.
Montepellier
Da nur wenige Lehrverträge für Frauen erhalten geblieben sind, ermöglichen die Notariatsakten von Montepellier einen besonderen Einblick in die damals üblichen Verhältnisse. Darin geht hervor, dass im Jahr 1350 von insgesamt 208 abgeschlossenen Verträgen in 30 Frauen als Lehrlinge zugelassen wurden. Fast die Hälfte der weiblichen Lehrlinge (14) kam von außerhalb von Montpellier und diese Personen mussten eine fünfeinviertel jährige Ausbildung absolvieren, im Gegensatz zu den einheimischen Frauen, deren Ausbildung ein Jahr kürzer war. Die Mädchen lernten in ihrer Ausbildung u.a. das Goldspinnen, die Seidenstickerei oder Herstellung von Seiden- und Leinenlitzen. So lässt sich nachweisen, dass beispielsweise die Tochter eines Silberschmieds in eine vierjährige Ausbildung als Goldspinnerin gegangen war.
Mädchen wurden in die Lehre zu Männern wie auch Frauen oder, wie in den meisten Fällen, zu Ehepaaren geschickt. Sie begannen mit zwölf Jahren oder älter die Lehre. Kaufmannstöchter wurden gerne in die Fertigkleiderindustrie zur Lehre gegeben. Auch Ausbildungen im Handelsbereich war eine Option für Frauen.
Erika Uitz, Die Frau in der mittelalterlichen Stadt. Freiburg, Basel, Wien 1992. Seite 71.
Mailand
Die Ausbildung wurde in Mailand in den Zunftstatuten von 1583 ebenfalls geschlechterspezifisch unterschieden: Jungen mussten fünf Lehrjahre in der Meisterwerkstatt absolvieren, Mädchen hingegen lernten bei einer an der Università eingeschriebenen Stickerin ohne konkrete Ausbildungs- und Kenntnisstandsbedingungen. Noch bis wenige Jahre vor der Zunftgründung waren Lehrmädchenausbildungen bei Stickmeistern möglich gewesen, wie die Beispiele der Angela Pallavicini, 1532 als Lehrmädchen in der Werkstatt des Malers und Stickers Francesco Niguarda genannt, und der Olimpia belegen, die 1532 als Lehrmädchen beim Sticker Giorgio Fumagalli und seiner Frau Caterina diente.
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.