es grüßt der oberste Richter [...] alle, an die folgende Verordnungen gehen - Organisation in Zünften
Geschrieben in Sticken am 14.06.2017 von Eva-Maria
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.
Paris
Aus dem Paris des 13. Jahrhunderts (1292) sind eine der ältesten schriftlich festgelegten Statuten der ansässigen brodeurs und brodeuses überliefert, die im Detail die Arbeitsbedingungen für die Handwerker/innen, die Ausbildung der Lehrlinge und die Qualitätssicherung der Ware regelten, unter anderem folgende Punkte:
Um ein Sticker/eine Stickerin zu sein, musste die Person das Handwerk und seine Feinheiten beherrschen und die Bräuchen kennen (d.h. er/sie musste eine Lehrzeit absolviert haben);
Kein Mann oder Frau durfte bei Kerzenschein arbeiten, sondern nur so lange wie das Tageslicht dauerte, denn „nachts getane Arbeit kann niemals gleich gut oder qualitätsvoll sein“.
Wer bei nächtlicher Arbeit erwischt wurde, musste eine Strafe an den König sowie die Zunftwächter zahlen.
Arbeit war verboten an Sonntagen, den vier Feiertagen “Unserer lieben Frau” und den sechs Festtagen der Apostel, die als Fastentage gekennzeichnet waren (bei Nichtbeachtung wurde ein Bußgeld eingehoben).
Kein Mann oder Frau durfte einen Lehrling, gleich ob männlich oder weiblich einstellen, solange er oder sie nicht selbst einen Stickbetrieb besaß und ein Meister/eine Meisterin der Kunst war.
Kein Zunftmitglied „darf Gold in seiner Arbeit verwenden, das weniger als 8 Sols der Strang kostet, denn man kann nicht Stickarbeit von angemessener Qualität liefern mit billigem Material“ (ein Bußgeld wurde für die Missachtung festgesetzt)
Jeder, der Goldstickerei betrieb, sollte mit Seide sticken.
Kein Sticker bzw. Stickerin sollte im Haus einer Person beschäftigt sein, die nicht Zunftmitglied war, denn es galt als unschicklich bei jemandem zu arbeiten, der nichts von der Kunst verstand (wieder wird eine Geldstrafe genannt)
Vier qualifizierte Personen wurden beauftragt, die Einhaltung der Verordnungen zu beaufsichtigen.
Kay Staniland: Medieval Craftsmen – Embroiderers, British Museum Press, 2006.
1292 gab es in der französischen Hauptstadt 14, 1300 schon 28, 1303 wieder 25 und 1316 bereits 179 brodeurs und broderesses; Sie arbeiteten in Seide, Zendel, Gold und Silber und benutzten – wie auch die Weber - Gold- und Silberfäden aus Lucca, Cypern und Paris selbst. Pariser Kunststicker hatten weithin verbreiteten Ruf: 1401 arbeitet der Königliche „Hofsticker" Jean de Clarey für Isabella von Baiern auf Bestellung „la tenture d'une chapelle et les vetements du chapelain" aus „veloux asur", blauem Samt.
Hans Koch, Geschichte des Seidengewerbes in Köln vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Verlag von Duncker & Humblot, 1907.
Ebenfalls im französischen „Livre des Metiers“ von 1250 genannt wurden zwei Zusammenschlüsse von spezialisierten Stickhandwerkern, die vorwiegend von Frauen betrieben wurden:
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Die Herstellung von bestickten Damen-Beuteln, bekannt als „Sarazenische Arbeit“ (Da diese Accessoires klein und relativ kostengünstig waren, gab es hierfür einen großen Markt. In den Statuten von 1299 werden 124 Frauen sowie zwei Lehrlinge (mit einer variablen Lehrzeit von 6-10 Jahren) genannt).
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Die zweite Stickereivereinigung fertigte “chapiaux d’orfrois” an, d.h. gold- und perlenbestickte Hüte oder Hauben für reiche Damen. (Um sicherzustellen, dass ihre Arbeit durchwegs luxuriös war, war ihnen verboten, die Kopfbedeckungen auf einer Basis von Pergament oder Leinen aufzubauen sowie Baumwollfaden in ihrer Arbeit zu verwenden.)
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Auch Sticker von Messgewändern hatten für einige Zeit eine eigene Vereinigung – “chambliers” genannt. Alle Gruppen wurden jedoch um 1400 in die weitaus größere Zunftgilde der Sticker integriert.
Margaret Wade Labarge, Stitches in Time: Medieval Embroidery in its Social Setting, Florilegium 16, 1999.
Köln
Ob das Gewerbe der Sticker und Stickerinnen in Köln schon vor dem Verbundbrief zünftig gewesen ist, ist ungewiss; der erste erhaltene Zunftbrief datiert aus dem Jahre 1397. Die Angehörigen der Zunft nannten sich damals bereits Wappensticker nach einer besonderen Spezialität ihres Handwerks, dem Sticken von Wappen und Wappenröcken bzw. Wappendecken; sie fertigten aber jede Art von Kunststickerei – vor allem liturgische Gewänder - an. Das Handwerk wurde von Männern und Frauen betrieben; im Kölner Amtsbrief ist stets von Lehrkindern, Meistern und Meisterinnen die Rede. Des weiteren sind reine weibliche Handwerkerzünfte nachweisbar, zum Beispiel Garnmacherinnen, Seidenweberinnen, Seidenspinnerinnen und Goldspinnerinnen.
Auszug aus dem Amtsbrief der Kölner Wappensticker von 1397:
,,Zum ersten soll sich keiner im Kölner Amt als Meister niederlassen noch arbeiten, bevor er nicht zuerst vier Jahre gedient hat. Und wenn die vier Jahre um sind, so mag er Meister werden und in die Bruderschaft eintreten mit sechs rheinischen Gulden, bevor er sich niederlasse. Und muss einen ganzen Harnisch, auf seinen Leib passend, besitzen.
2. Auch sollen Lehrkinder in diesem Amte nicht weniger noch mehr als sechs Jahre lernen. Und wenn ein Lehrkind aufgedingt wird, soll es der Bruderschaft einen Gulden und ein Viertel Wein geben, das Viertel für zwei S. Kölnisch. Und wenn sie dies versäumten, und man dies hinterher herausfände, so sollte der Meister oder die Meisterin drei Gulden Bußgeld der Bruderschaft zahlen.
3. Auch wenn ein Meistersohn dieses Amtes Meister werden wollte, und er dies vor dem Amt eröffnet hatte, der soll mit drei Rheinischen Gulden und ein Viertel Wein in die Bruderschaft eintreten. Und soll dazu seinen Harnisch haben nach seinem Vermögen.
4. Wenn man eine Arbeit herstellen soll, die gleich ist,[...] so soll derjenige, der den ersten Entwurf bzw. das erste Modell macht, den anderen dieses gütlich leihen [...]. Und wenn er es nicht ausleiht, so soll er zwei Pfund Wachs Bußgeld bezahlen.
5. Des weiteren soll man mit guten Stoffen arbeiten und soll gutes Gold mit gutem Gold legen und gutes Silber mit gutem Silber und mit Seide übersticken. Wer dies nicht befolgt, der soll seine Bruderschaft verlieren; und er muss sie dann erneut für drei Gulden erwerben.
6. Des weiteren soll man keine alte Arbeit für eine neue anbieten oder verkaufen. Wer dabei entdeckt wurde, der soll seiner Bruderschaft verloren gehen, und er muss sie wiederum für drei Gulden erwerben.
[...]
9. Des weiteren soll kein Mann, keine Frau noch Jungfrau in diesem Amt [...] noch in unserer Stadt in Meisterstelle arbeiten, er solle denn die Bruderschaft erwerben und dafür sechs Rheinische Gulden geben und zwei Viertel des besten Weins, den es zu zapfen gibt, und zuvor bezahlen. [...]
Hans Koch: Geschichte des Seidengewerbes in Köln vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Verlag von Duncker & Humblot, 1907.
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.
Florenz
Ganz anders war dagegen die Stellung der Seidensticker in Florenz: hier gehörten sie zu den untergeordneten Handwerkern, den membri minori, die in vollständiger Abhängigkeit standen.
Nürnberg
In Nürnberg blieben die Sticker trotz wiederholter Gesuche an den Stadtrat eine freie Kunst: ,,Den seydenstickern nochmalen laynen, inen ein geschribne ordnung zu geben, sonder soll ir arbait ein freye kunst sein, wie mit alter herkomen." (Nürnberger Ratsverlass von 1522).
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.
In anderen Städten erhielten die Sticker nicht eine alleinige Zunftverfassung wie in Paris, Mailand und London, sondern waren mit verwandten Handwerken zu einer gemeinsamen Zunft zusammengeschlossen, beispielsweise in Köln mit den Malern und Glasern, in Wien mit den Malern, Goldschlagern, Schiltern und Glasern und in München mit den Malern, Glasern und Bildhauern, in Frankfurt und Mainz mit den Schneidern und Tuchscherern, in Florenz bei der Arte della Seta (Seidengewerbe), in Rom mit den Malern, Miniaturmalern, Bortenmachern und Goldschlagern etc., was die hohe Bedeutung des Handwerks unterstrich. Zudem betrafen gewerbliche Regelungen und damit die Zuständigkeit des professionellen Stickergewerbes vorwiegend die mit wertvollen Materialien hergestellten Stickereien aus Gold und Seide, nicht aber Weißstickereien aus Leinen oder Stickereien aus Wolle.
Uta-Christiane Bergemann: Europäische Stickereien 1250-1650: Katalog des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Band 3, 2010.
Wien
Eine dieser Ordnungen, jene für die Maler und diesen angeschlossenen Handwerkern einschließlich der Seidensticker(,,Seidennater", d.h. Seidennäher), wurde am 28. Juni 1446 in Wien ausgefertigt und fordert folgende Meisterstücke:
"Ain Seidennater sol stechen ain Pild von Seiden und ein Pild erheben [i.e. im Relief]. als da zu Perln gehöret, jedes anderthalb Span lank, und ain Schilt, verwappnet mit aim Tir, stechen von Seiden in acht Wochen.“
Franz Wagner: „sol stechen ain Pild von Seiden'" - Notizen zur spätmittelalterlichen Seidenstickerei, Das Münster, Heft 2, 1997.