Überlegungen zum Überkleid / some thoughts about surcots

Geschrieben in Kleidung am 29.04.2016 von Eva-Maria

Für meine Darstellung einer Stickerin habe ich mich gefragt, was eine solche Person wohl als Festtagskleidung getragen haben mag. Ich besitze bereits eine Cotehardie mit Frontschnürung und Messingknöpfen an den Ärmeln, die von der Farbe her einer doppelten Krappfärbung entspricht. Nun hätte ich - der Vollständigkeit halber - gerne noch ein Überkleid, dazu. Diese Schicht wird in mittelalterlichen Quellen als Surcot bezeichnet und ist die Modeschicht. Da sie nicht zwingenderweise erforderlich ist, um am sozialen Leben teilzunehmen, ist sie zumeist representativ für den Stand der Person bzw. für den Anlass (zB Kirchgang am Sonntag). Die Kleidungsstücke dieser Schicht sind oft von besserer Machart und dienen dazu, den sozialen Rang zu verdeutlichen. So gibt es zwischen Bürgern und Adeligen wesentliche Unterschiede in der Ausführung der Kleidungsstücke, auch wenn sich zB beide einen Suckenīe oder eine Houppelande leisten konnten.
Aber wie könnte ein solches Kleidungsstück für eine Stickerin standesgemäß ausgesehen haben? Bei der Durchsicht der regionalen Quellen aus Tirol und Norditalien haben sich für mich drei mögliche Surcot-Varianten herauskristallisiert.


I wondered what the medieval character I am portraying - a professional embroideress - would have worn as her "sunday best". I already posess a red front-laced cotehardie with brass buttons along the sleeve openings and wanted/needed another layer to complete the outfit. As this so-called "surcot" reflects the status of its wearer it should be fashionable to some degree. I looked into pictural evidence from my time (end of 14th century) and region (Tyrol/Austria or Northern Italy) and discovered three possible types of surcots that might have been worn by a townswoman.


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Kleid mit weiteren Ärmeln / figure-hugging dress with wider sleeves

Dieses Überkleid unterscheidet sich von dem darunterliegenden Rock/Kittel/Kleit nur in der Ausgestaltung der Ärmel. Wo dieses enge, geknöpfte Ärmel aufweist, hat das Überkleid weitere Ärmel, die von Schulterkugel bis Ärmelöffnung gleichmäßig weit sind. Sie werden oft zurückgestülpt dargestellt, was darauf hindeutet, dass sie über den Handrücken reichten. Der Ausschnitt des Überkleides folgt dem - meist - großzügen Ausschnitt des Kittels. Auffallend ist auch, dass das Überkleid stets überbodenlang abgebildet wird und zum Gehen oder Arbeiten gerafft werden muss. Es könnte figurnah als Schlupfkleid gefertigt worden sein, aber auch ein Verschluss mittels seitlicher Schnürung ist laut Quellenlage möglich. Für dieses Kleidungsstück scheint meist ein einfarbiger Stoff (zB Wollstoff in einer besseren Qualität) verwendet worden zu sein, der oftmals in einer der im 14. Jahrhundert gängigen Modefarben - pfirsich, rosa oder ingidoblau - gefärbt war. 

Meiner Interpretation nach wäre solch ein Kleid mit weiteren Ärmeln für eine wohlhabende Bauersfrau ("Meierbäurin") wie auch eine Hausfrau der städtischen Mittelschicht durchaus im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten gewesen. Auch für meine Darstellung einer Stickerin kommt dieses Überkleid in die nähere Auswahl.

This surcot generally follows the cut of a cotehardie - the only difference are the wider sleeves. It could have been laced up the side or simply pulled over the bust and is always depicted as more than floor-length. From my point of view, this sort of overdress might have been within the means of a professional embroideress.

 

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TacuinumSanitatis_I
BibCasanatense4182_ca1390

Kleid mit Tütenärmeln / figure-hugging dress with trailing sleeves

Dieses Überkleid weist einen weiten Ausschnitt und eine enge Ausformung der Brustpartie aus. Auffällig sind die Tütenärmel, die z.T. auch gezaddelt waren und das Kleid eindeutig als "modisch" kennzeichnen. Es könnte als Schlupfkleid gearbeitet worden sein, die enge Anpassung am Oberkörper macht eine seitliche Schnürung aber wahrscheinlich. Auch gemusterte Stoffe (mittels Brokatwebung oder Stoffdruck) wurden verwendet, ggf. sogar aus Seide. Oft in kräftigen Farben wie rot oder grün dargestellt, weisen die Bildquellen darauf hin, dass diese Variante des überbodenlangen Surcots von der finanzkräftigeren Mittelschicht bzw. dem niederen Adel verwendet wurde. Eigentlich ein Kleidungsstück einer Frau aus einem wohlhabenden, größeren Haushalt ist auch eine Verwendung durch eine Dienerin denkbar, die das abgetragene Kleid ihrer Herrin als Bezahlung weitervererbt bekam. Durch die Second-Hand-Verwendung fand das Surcot mit Tütenärmeln auch seinen Weg in die arbeitenden Gesellschaftsschichten.

This type of surcot too follows the cut of a cotehardie - the only difference are the trailing sleeves. It could have been laced up the side or simply pulled over the bust and is always depicted as more than floor-length. As in most illustrations it is shown in rich colors, which would have been costly to dye, I came to associate this type of dress with lower nobility or wealthy merchants.

 

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TacuinumSanitatis_I
BNF_NAL1673_ca1390

Houppelande, "einfache Version" / simple-version Houppelande

Neben der "klassischen" Form der Houppelande mit bodenlangen Tütenärmeln, die vielfach vom Hochadel getragen wurde, scheint es auch eine "einfachere" Variante gegeben zu haben. Diese zeichnet sich durch Stehkragen und eine große Stofffülle aus, welche die typischen vertikalen Falten ab der Brustpartie erzeugt und in einem überbodenlangen Saum ausläuft. Die Trendfarben Indigoblau und Rosa spielen auch hier eine Rolle. Die Ärmel hingegen sind als weitere Rechteckärmel gefertigt und verbrauchen so wesentlich weniger Stoff. Damit ist die "ökonomische" Variante für Großbürger und niedere Adelige durchaus denkbar. Die Frauen auf den Abbildungen tragen die Houppelande meiner Interpretation nach aus Prestigegründen - entweder weil sie als Schneiderin mit der neuesten Mode gehen mussten (wie heutzutage die Frisörinnen) oder weil sie als Gesellschaftsdame einer Adeligen passend gekleidet sein mussten. Für die Darstellung einer Stickerin kommt dieses Kleidungsstück nicht in Frage. da der dafür nötige Stoffverbrauch wohl außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten lag.

Besides the kind of houppelandes that were worn by the highest nobility and the upper classes, there seems to have been a simpler version as well. These feature the iconic folds and the standing collar of end-of-14th-century houppelandes, but do not have the voluminous, sometimes floor-length, sleeves. The women wearing them can often be interpreted as lady-in-waiting or craftswomen catering to the high society - both stations would have required them to dress according to the latest fashion.

 

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