Von Wittiben & alten Weibern

Geschrieben in Alltag am 08.07.2016 von Eva-Maria

Im bäuerlichen Milieu hatte die Frau nach dem Tod des Ehegatten nur wenige Entscheidungsmöglichkeiten - ,,frei zu sein" konnte sie sich zumeist aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht leisten. Vor allem wenn man bedenkt, welch umfangreiches Aufgabengebiet die bäuerliche Frau auch vor dem Ableben ihres Mannes zu erledigen hatte und welche Tätigkeiten in Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beim Tod des Bauern der Witwe zufielen, ist es nur schwer vorstellbar, dass eine kleine Hufenbäuerin über einen längeren Zeitraum hinweg alle Arbeiten alleine fortführen konnte. War sie allerdings die Frau eines Meiers gewesen oder Bauersfrau auf einem Herrenhof der ländlichen Oberschicht, sodass ihr Mägde und Knechte unterstellt waren, oder lebten auf dem Hof noch andere Verwandte, die sie bei der Arbeit unterstützten, so konnte es durchaus sein, dass das Eingehen einer Zweitehe nicht von Nöten war. Die möglichen Lebensrollen der ländlichen Frau als Witwe und Greisin sollen in diesem Artikel im Vordergrund stehen.


 Als Witwe fielen der bäuerlichen Frau die gesamten Arbeitsaufgaben in Stall, Feld & Hof zu.
Tacuinum Sanitatis, Bibliothek Casanatense 4182,  ca.1390

Die bäuerliche Frau als Witwe

Prinzipiell hatte die bäuerliche Witwe je nachdem, wie groß der Besitz des verstorbenen Bauern gewesen war und unter welches regionale Recht diese Erbschaft fiel, nach dem Tod ihres Mannes die Wahl, den Hof entweder an den Hoferben (meist den ältesten Sohn) zu übergeben und ins Ausgedinge einzutreten oder aber wieder zu heiraten und so den Status als Bäuerin und Hofvorstand aufrecht zu erhalten. Spezielle, das Wittum und die Vormundschaft über die Nachkommen regelnde Gesetze, bestimmten zudem, dass eine Witwe normalerweise ein Drittel bis die Hälfte aus dem Bodenbesitz ihres verstorbenen Mannes als Dos (="Witwenversorgung") bis zu ihrem Tode erhielt, den Rest erbten meist ihre Kinder. Zusätzlich erbte eine Witwe in großen Teilen Westeuropas ein Drittel des beweglichen Vermögens, während die anderen Wert- & Einrichtungsgegenstände zu gleichen Teilen auf Töchter und Söhne aufgeteilt wurden. Außerdem hatten Witwen häufig das Recht, weiterhin auf dem Hof des verstorbenen Mannes zu wohnen, sofern sie diesen nicht selbst erben und weiterführen konnten. Durfte sie den Hof übernehmen, musste sie oftmals geringere Abgaben und Zahlungen an den Grundherren leisten als während der Ehe.

Da jedoch die meisten Höfe auf die Arbeitskraft beider Ehepartner angewiesen waren, (siehe Teil 1 dieser Blog-Serie) waren sowohl Bauer als auch Bäuerin zumeist aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus gezwungen, nach dem Tod des Ehepartners möglichst bald - natürlich unter Einhaltung des Trauerjahres - einen neuen Lebenspartner zu finden. Zweit- und Drittehen gehörten somit zum vertrauten Bild der bäuerlichen Bevölkerung. Interessanterweise ging die Nachfrage nach den älteren, finanziell gut situierten Witwen, in der Zeit nach der großen Pestseuche Mitte des 14. Jahrhunderts stark zurück. Durch die drastische Reduzierung der Bevölkerung waren viele Ländereien frei geworden und für Bauernsöhne und deren jüngere, nicht erbberechtigte Geschwister  war es leichter geworden, sich selbst Landbesitz zu verschaffen und eine eigene Familie zu gründen. (Mit den Erbrechtsregelungen in Tirol habe ich mich bereits in einem älteren Blogpost befasst). Häufig kam es auch vor, dass Witwen von Seiten ihres Gutsherren zu einer Wiederverheiratung gedrängt wurden, da diesem an der Sicherung der ihm zustehenden Frondienste gelegen war. So kam es nicht selten vor, dass verwitwete Bauersfrauen für die Erlaubnis, ihre Wiederverheiratung aufschieben zu dürfen, eine Abgabe zahlen mussten.


Bei der Versorgung im Alter war die Bäuerin auf die Unterstützung der jüngeren Generation angewiesen.
Tacuinum Sanitatis, Bibliothek Casanatense 4182, ca. 1390

Die alte Bäuerin – Leben im Ausgedinge

Wenn die junge Generation den Bauernhof übernahm, musste der Erbe nicht nur die Geschwister auszahlen, sondern auch die Altbauern in ihrem Lebensabend versorgen. Je nach Region und Erbrecht gab es dazu unterschiedliche Regelungen. Auf größeren Gutshöfen und in Gegenden mit Einzelhof- und Weilersiedlungen erhielt der Altenteiler eine eigene Wohnung oder ein Auszugshaus („Ausgedinge“), ein Grundstück und ein Stück Vieh zur Eigennutzung. Auf kleineren Höfen schlossen die Eltern mit den Kindern einen Vertrag über die Mitbewohnung des Hauses, die Kost am „Tische des Bauern“ und eine bestimmte Menge Naturalien ab. In anderen Gebieten wiederum, wie beispielsweise im nördlichen Niederösterreich, war es üblich, dem Altbauernpaar ein kleines ,,Stübl" zur Verfügung zu stellen, sodass die Familien nicht unmittelbar miteinander konfrontiert waren. Zum Teil dürften jedoch auch die kleinlichen Regelungen für das Altbauernehepaar zermürbend gewesen sein. So sind etwa Bestimmungen bekannt, die den alternden Bauersleuten genau vorschrieben, welche Sessel sie benützen durften, durch welchen Eingang sie den Hof verlassen mussten etc... Die alternde bäuerliche Frau hatte sich diesen Bestimmungen und - sofern er noch lebte - der individuellen Entscheidung ihres Ehemannes zu fügen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Konflikte mit der jungen Generation, insbesondere der neuen, in die Familie eingeheirateten Bäuerin, regelmäßig auftraten und für beide Seiten belastend waren. Vor allem das Wissen, dass man das Wohlwollen der Jungen brauchte, damit man - sollte man bettlägrig werden - entsprechend gepflegt und versorgt wurde, warf seinen Schatten über die alltäglichen Interaktionen. War die Altbäurin hingegen noch rüstig, konnte sie ihren Teil zum Funktionieren des Hofes beitragen und kleinere Arbeiten im Haus übernehmen zB Kochen oder die Kinder beaufsichtigen. Dies hat sicher viel zum Selbstwertgefühl der alten Bäuerin beigetragen und das Leben im Ausgedinge erträglich gemacht.

Literaturnachweis: "Jahreszeiten - Lebenszeiten - Das bäuerliche Alltagsleben im Mittelalter insbesondere aus der Sicht der Frau“, Maria Narbeshuber, 2005.