Erbrecht in Tirol

Geschrieben in Alltag am 13.01.2016 von Eva-Maria

Wie schon in Teil 2 meiner Serie zum Bauernleben erwähnt, brachte der spätmittelalterliche Bevölkerungsrückgang die bäuerliche Bevölkerung in eine bessere 'Verhandlungsposition' gegenüber den Grundherren. Anstatt nur als Lehen vergeben zu werden, wurden Höfe beispielsweise vererbbar. Bei der Vererbung des Besitzes entwickelte die bäuerliche Bevölkerung verschiedene Strategien. Bei der Realteilung, die vor allem in Vorarlberg, im westlichen Tirol (Oberinntal z.B. auch Ötztal, Außerfern und Vinschgau), in der südlichen Steiermark und im Burgenland vorherrschte, wurde das Erbe auf alle (männlichen) Nachkommen aufgeteilt. Beim Anerbenrecht ging das gesamte Erbe meist auf den ältesten (seltener auf den jüngsten) Sohn über. Im Pustertal und Unterinntal wurde es bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als „allgemeiner Landsbrauch“ bezeichnet und muss dort folglich schon länger vorgeherrscht haben. Ebenfalls im 16. Jahrhundert setzte sich die Anerbensitte im Wipptal und Ahrntal durch. In der Praxis traten zahlreiche Mischformen auf.

Diese unterschiedlichen Erbgewohnheiten sind auch heute noch in der Landschaft erkennbar: Im Osten Nordtirols dominieren Einzelhöfe mit verhältnismäßig großen Anbauflächen, im Oberinntal und Außerfern kleinbäuerliche Betriebe in Haufenhöfen bzw. Haufendörfern mit eher kleinen Anbauflächen.

Teil 3: Erbrecht, Leibgeding & Freistift

Luttrell Psalter, 1325-35, (c) British Library, bl.uk

Dem modernen Begriff des Eigentums entsprach im Spätmittelalter nur jener Besitz, den ein Bauer als „freies Eigen“ innehatte. Wenngleich dieses „freie Eigen“ in Tirol im Vergleich zu anderen österreichischen Erbländern verhältnismäßig häufig war, war der Besitz meist doch durch Erb(bau)recht, Leibgeding oder Freistift einer Grundherrschaft unterworfen.

Unter den bäuerlichen Leiheformen war die Erbleihe die für den Bauern günstigste: Er konnte seinen Besitz grundsätzlich wie freies Eigentum vererben und verkaufen. Im Fall einer Veräußerung stand freilich dem Grundherrn ein Vorkaufsrecht zu, und gewisse Personenkreise (Adelige, Geistliche, Juden) waren vom Erwerb ausgeschlossen. Das Obereigentum des Grundherrn zeigte sich in der Verpflichtung des „Baumannes“, jährlich zu einem bestimmten Termin seinen Grundzins abzuführen: Es war dies in der Regel der Tag des hl. Gallus (16. Oktober) oder des hl. Martin (11. November). Dieser Grundzins war im Allgemeinen bereits im Spätmittelalter von einem Natural- in einen Geldzins umgewandelt worden, der nicht valorisiert wurde: Mit fortschreitender Geldentwertung wurde die Belastung für den Bauern trotz gleichen Nominalwerts de facto immer geringer.

Deutlich von der Erbleihe unterschied sich die Leihe nach Freistiftrecht. Hier stand es dem Grundherren zu, dem Zinsmann das Gut, das er innehat, mittels so genannter „Abstiftung“ zu entziehen oder ihn auf ein anderes Gut zu setzen. Die Stiftleute mussten jedes Jahr auf der Stift- bzw. auf dem Bauding erscheinen: Hier wurden die geforderten Abgaben abgeliefert und das Gut dem Grundherren „aufgelassen“, d. h. formal zurückgestellt. Wenn der Freistifter seine Baumannpflichten erfüllt hatte, konnte ihm der Grundherr das Gut neuerlich für ein Jahr überlassen – der Freistifter hatte hierauf allerdings keinen rechtlichen Anspruch. Während über Leihen nach Erbbaurecht bereits seit dem 13. Jahrhundert Urkunden ausgestellt wurden, war die schriftliche Fixierung einer Vergabe nach Freistiftrecht im ganzen Mittelalter nicht üblich: Es genügte die jährliche Entrichtung des so genannten Stiftkreuzers und die Eintragung in das Urbar des Grundherrn (d. h. in das Verzeichnis der ausgegebenen Güter und der darauf haftenden Lasten). Eine derartige rechtliche Ausgestaltung der Leihe war jedoch nicht nur für den betroffenen Bauern nachteilig. Auch der Grundherr konnte an willkürlichen Abstiftungen kein Interesse haben. Ein Bauer, der nicht weiß, ob er in einem Jahr noch auf dem Hof sitzen wird, wird die Wirtschaft sicher nicht mit vollem Elan betreiben, sondern nur im Rahmen des Notwendigen: Schließlich wurde ihm im Fall einer Abstiftung die durch seinen Mehraufwand verbesserte Ertragsfähigkeit des Gutes (Melioration) nicht abgegolten. In der Praxis hatten daher Stiftleute ihre Güter ebenfalls jahre- und jahrzehntelang inne, so dass es – regional teilweise bereits im Spätmittelalter– zu einer gewissen Annäherung an die Erbleihe kam: Freistiftgüter wurden nicht mehr nur auf ein Jahr, sondern auf zwei, drei, fünf Jahre oder sogar auf Lebenszeit ausgegeben (im letzteren Fall spricht man von Leibgeding).

Bereits im ausgehenden Mittelalter war die Freistift in weiten Teilen des Landes die Ausnahme von der Regel. Vorherrschend war die Erbleihe, und nur regional – beispielsweise im heutigen Osttirol – kam die Freistift noch häufiger vor.

 

Die weichenden Geschwister & ihre Rechte

Luttrell Psalter, 1325-35, (c) British Library, bl.uk

Übernahm ein neuer Erbe den Hof, konnte das Schicksal der abzufindenden Geschwister vielfältig sein: Sei es, dass ihnen der Verbleib in der sozialen Schicht der Grundbesitzer (der so genannten „Angesessenen“ oder „Haushäblichen“) gelang, beispielsweise durch Einheirat oder Kauf. In vielen Fällen war jedoch das Absinken in den Handwerker- oder Dienstbotenstand unvermeidlich: Häufig verdingte man sich in Städten oder auf anderen Bauernhöfen. Einige verblieben auch als entlohnte Arbeitskräfte auf dem elterlichen Hof.

Die Übernahme des Gutes durch den Anerben wurde zudem insofern begünstigt, als er den in Geld bestehenden Erbanteil seiner weichenden Geschwister nur in den wenigsten Fällen gleich in bar ausbezahlen musste. Vielmehr blieb das den Brüdern oder Schwestern (und auch einer allfälligen Witwe) zugesprochene Geld regelmäßig auf dem Hof liegen und wurde dort mit einem Zinssatz, der sich im Allgemeinen zwischen drei und vier Prozent jährlich bewegte, verzinst: Nur die Zinsen waren tatsächlich zu den festgesetzten Terminen auszubezahlen, die Aufkündigung der gesamten Summe war nur unter Einhaltung bestimmter Fristen und in Raten möglich, um die Wirtschaftsführung nicht unerwartet zu belasten.

Als Rechtsanspruch der weichenden Geschwister ist das so genannte „Heimatrecht“ oder auch „Heimatfluchtrecht“ zu nennen, das ihnen gewohnheitsrechtlich – wenngleich in regional unterschiedlicher Ausprägung – stets zukam: Für einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen pro Jahr durften sie beim Hofübernehmer Zuflucht suchen. Die konkrete Ausgestaltung des Heimatfluchtrechtes konnte aber im Detail stark variieren: Häufig war die Inanspruchnahme des Zufluchtrechtes nur im Fall von Krankheit oder Dienstlosigkeit erlaubt. Während die Logis immer umsonst war, war dies bei der Kost zwar zumeist der Fall, aber durchaus nicht immer; fallweise waren zumindest Weißbrot und Wein ausdrücklich ausgenommen. Regelmäßig nicht inkludiert waren Arzt- und Medikamentenkosten. Abweichende Regelungen wurden immer dann getroffen, wenn sich eines der Kinder aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung nicht selbst erhalten konnte: Ihr/Ihm wurde im Allgemeinen ein lebenslängliches Wohnrecht auf dem elterlichen Hof eingeräumt.

In den meisten Fällen stand den weichenden Geschwistern ferner eine bestimmte Grundausstattung mit Hausrat und Möbeln zu, beispielsweise Bett, Bettzeug, diverse Tücher, ein Kasten mit Schloss und Band oder andere Einrichtungsgegenstände. Häufig konnten sie kraft Übergabevertrag, Testament oder Vereinbarung anlässlich ihrer Heirat noch weitere Ansprüche geltend machen: zum Beispiel auf eine Kuh aus dem Stall (wobei oft genau geregelt wurde, von welcher Qualität diese sein musste), auf die Ausrichtung der „Morgensuppe“ für die Hochzeitsgesellschaft durch den Hofübernehmer oder auf bestimmte Möbel.

Quelle: Geschichte des bäuerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol – ein Überblick, Martin P. Schennach

Aus: Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhöfe (Tiroler Erbhöfe Nr. 21), Innsbruck 2003, Seite 9-30.