wo wëberschiffelîn stân nit still - Textilproduktion im mittelalterlichen Tirol

Geschrieben in Alltag am 09.09.2016 von Eva-Maria

© De Claris mulieribus– BNF Gallica

Die frühesten Nennungen von Textilhandwerkern in Tirol finden sich im 13. Jahrhundert in den Städten Bozen, Meran, Innsbruck, Brixen und Bruneck, da sich dort durch die entsprechende Nachfrage und durch die regelmäßig stattfindenden Märkte spezialisierte Gewerke entwickeln konnten. Das Herstellen von Textilien und Kleidung erfolgte hier oft durch Frauen in Heimarbeit, wie aus einem Steuerverzeichnis der Bamberger Eigenleute im Vinschgau von 1307 hervorgeht, in dem mehrere Weberinnen genannt sind.

Zahlreiche Handwerker lassen sich auch in Bozen nachweisen: Die Stadt bildete mit den seit 1202 nachweisbaren überregionalen Märkten eine Art Drehscheibe für den Textilhandel auf der Brennerroute. Ein weiteres Zentrum des Textilhandels und der Textilveredelung bildete nach Ausweis der Quellen im 15. Jahrhundert Neumarkt. Die Anwesenheit von mehreren Tuchscherern und Schneidern ist wohl auch dem Durchzugsverkehr auf der Brennerstraße geschuldet. Schneider werden in den tirolischen Quellen im 14. Jahrhundert meist nur mit ihrem Vornamen und der Berufsbezeichnung angesprochen– „der sneyder“ oder bei Frauen die „naterin“, also Näherin - weshalb ihr familiäres Umfeld und verwandtschaftliche Verflechtungen schwer zu rekonstruieren sind. Wichtig ist aber an sich schon der Nachweis von Textilhandwerkern auch für kleinere Ortschaften wie Vahrn, Villanders und Auer oder entlegene Täler, da sich daran ein gewisses Marktpotential und eine Konjunktur des Gewerbes ablesen lassen.

Quelle: Von grauem Loden und farbigen Tuchen - Überlegungen zu Tuchhandel und Textilverarbeitung in Tirol, Armin Torggler, 2015


Der Bauer als Tuchproduzent

Die meisten Bauernhöfe waren mit ihren eigenen Webstuhl ausgestattet, auf dem Woll- und Leinenstoffe für den Eigenbedarf, als Zinsgut für den Grundherrn und als Ware für den Verkauf in der Stadt hergestellt wurden. Wurde diese Arbeit zunächst durch die dem Hof zugehörigen Frauen erledigt – oftmals auch in größerem Maßstab („Bauernweber“) – so bildete sich im Laufe der Zeit ein eigener Berufszweig heraus - die „Störweber“. Sie waren keine selbständigen Handwerker, sondern abhängige Lohnarbeiter. Im Gegensatz zum professionellen Weber, der eine eigene Werkstatt und eigene Webstühle besaß, ging der Störweber von Hof zu Hof und verwebte das, was im Laufe des Jahres an Flachs, Hanf und Wolle hergestellt worden war.

Der Arbeitsauftrag wurde meist nach der Sonntagsmesse vor der Kirche oder im Gasthaus erteilt, weil dann auch die Bauern von den entlegeneren Höfen ins Dorf kamen. Wenn der Weber 'in die Steare' kam, brachte er das Schiffchen, die Kämme und Schäfte, manchmal auch die Schlichtbürste mit. Gegen Kost und einen geringen Taglohn musste der Weber von vier Uhr morgens bis acht Uhr abends arbeiten. Um acht Uhr gab es eine kleine Pause und um zehn das Mittagessen. Die Tagesleistung lag bei etwa 12 bis 14 'brac' (= Ellen) Wolltuch (wenn die Wolle gut gesponnen war, also nicht ständig riss) oder bei 5 bis 8 'brac' Leinen, das stärker angeschlagen werden musste und dessen Herstellung demnach zeitraubender war.

Besonders das Ötztal und in etwas geringerem Maße auch das Pitztal, galten seit alters als besonders flachsreich: "viel Haar (= Flachs) wachst daselbst zumal", liest man etwa im Tiroler Landreim von 1568. Mit Hilfe der Störweber konnten vor allem die Bauernhöfe dieser Region einen Überschuss an Textilien erzeugen, die sie auf den lokalen Märkten verkaufen und so eine wichtige Nebeneinkunft für ihren Hof erwirtschaften konnten. Den erstarkenden Weberzünften war diese Praxis ein Dorn in Auge – in der tirolischen Landesordnung von 1532 wurde den Handwerkern auf dem Land trotz der Widerstände der Weberzunft dennoch Gewerbefreiheit zugesichert. Dadurch kamen zahlreiche Webergesellen, die in der Stadt keine Möglichkeit hatten, Meister zu werden, in die 'Gay' (der Zunft nicht unterstehendes Gebiet) und konnten Bauern das Weben weiterhin als Nebenerwerb ausüben.

Quellen: Die Bäuerliche Nutzweberei im Gadertal, Verena Staggl, 1983
http://kultur.tirol.at/de/artikel/369/vom-leinenweben-im-oberland


Spinnstuben als Heiratsmarkt

Gemeinsame Arbeit, vor allem in den dörflichen Spinnstuben, hatte durchwegs auch vergnüglichen Charakter. Dabei versammelten sich sämtliche Frauen des Hauses, mitunter auch jene aus der Nachbarschaft, in der Bauernstube und verspannen gemeinsam Flachs und Wolle. Während der Arbeit erzählte man sich häufig Geschichten oder sang Lieder. Oftmals kamen auch die ledigen Burschen und Männer des Dorfes dazu.

Die Spinnabende in den Wintermonaten (von Martini (11. November) bis Lichtmess (2. Febuar) oder in manchen Gegenden bis Maria Verkündigung  (25. März)) dienten zu einem wesentlichen Teil als Ersatz für die zahlreichen Feste, Kirchtage, Hochzeiten und andere Lustbarkeiten, die vornehmlich in den Sommermonaten abgehalten wurden. Sie boten einen willkommenen Anlass, um zu tanzen und zu trinken und sich einander ,,näher zu kommen". So waren diese geselligen Versammlungen des halben Dorfes vor allem im Spätmittelalter keinesfalls lediglich harmlose Unterhaltungen, sondern dienten auch als Heiratsmarkt.

Quellen: „Jahreszeiten - Lebenszeiten - Das bäuerliche Alltagsleben im Mittelalter insbesondere aus der Sicht der Frau“ von Maria Narbeshuber, 2005
Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde,  www.volkskundemuseum.it/de/altes-handwerk.asp
http://www.spinnstubn.at/geschichte_des_spinnens.htm#Geschichte:32des:32Spinnens


English summary: This article gives an insight in which Tyrolean villages and cities cloth has been woven in medieval times and who have been the weavers. Apart from professional weaving workshops the majority of the fabrics have been produced by farmers on their farmsteads (particularly the local woolen "grey cloth" and linen fabric) and sold on regional markets. Further, it talks about spinning rooms and their importance as social gathering places in winter.