ein wüllîn röckelîn - Vom Schaf zum Wollstoff

Geschrieben in Alltag am 02.09.2016 von Eva-Maria

© De Claris mulieribus– BNF Gallica

Schafzucht ist im Gebiet des heutigen Südtirol seit der jüngsten Steinzeit nachzuweisen. Die hochgelegenen und kargen Alpengebiete (in Südtirol liegen 40% des Landes über 2000 m) eigneten sich besonders für die Haltung von Schafen.

Die größten Schafherden gab es im Pustertal, vor allem in der Gegend von Lienz und Sillian und im Tauferer Tal, während die feinste Wolle aus dem Schnalstal und den ladinischen Bezirken wie Abtei, Fassa und Buchenstein kam. Zusammen mit dem oberen Vinschgau und der Sterzinger Gegend zählte das Pustertal mit seinen Seitentälern früher zu den wichtigsten Schafzuchtgebieten Südtirols.

Die Wollfarbe der genügsamen Tiroler Steinschafe reichte von hellgrau bis rötlich-braun, war kurzstaplig und grob und ergab in ihrer Mischung schließlich ein gräuliches Textil, das als Grautuch („pannus griseus“) bezeichnet wurde und als Zinsgut für den Grundherrn, Naturallohn für dessen Dienerschaft und als Handelsware diente. Durch die Kreuzung des bodenständigen Steinschafes mit dem Bergamoschaf wurde im späten 14. Jahrhundert die Rasse des Tiroler Bergschafes gezüchtet, das eine qualitätsvollere Wolle lieferte und besser zum Weben hochwertiger Wollstoffe sowie zum Färben geeignet war.

Quellen: Die Bäuerliche Nutzweberei im Gadertal, Verena Staggl, 1983
Von grauem Loden und farbigen Tuchen - Überlegungen zu Tuchhandel und Textilverarbeitung in Tirol, Armin Torggler, 2015


Arbeitsschritte in der Wollproduktion

Normalerweise wurde ein Schaf zweimal im Jahr geschoren, im Frühjahr und im Herbst. Meist geschah dies kurz vor dem Almauftrieb, um den Tag des Heiligen Georg (23. April), und kurz nach dem Almabtrieb, um den Tag des Heiligen Michael (29. September), herum.

Zuerst wurden die Schafe in einem großen Holzzuber gewaschen. Dadurch entfernte man Staub und sonstige Schmutzteile und einen Teil des Wollfettes aus der Wolle. Anschließend ließ man das Schaf trocknen und schor mit der Schafschere die Wolle. Nach dem Scheren erstarrte der Wollfettschweiß sofort und hielt dadurch das Vlies in einem Stück zusammen. Die qualitativ beste Wolle stammte von den Körperseiten, Schulterblättern sowie den Hals- und Keulenpartien des Tieres.

Um die geschorene Wolle spinnbar zu machen, musste die verfilzte Wolle nun gekämmt und/oder kardätscht werden. Dazu verwendete man für die längeren Deckhaare spezielle Wollkämme, für das feinere Unterhaar die Kardätschen (zwei flache kurze Bretter mit einem Griff und Lederbespannung, aus  denen Drahthäkchen herausragten). Bei beiden Methoden lag das Wollstück zwischen den Handwerkzeugen, die in entgegengesetzter Richtung so aneinander vorbeigezogen wurden, dass die Kammzinken bzw. Drahthäkchen die Wolle auseinanderrissen; dies wurde so lange wiederholt, bis die Wolle gleichmäßig aufgelockert war. Anschließend konnte das so gewonnene Wollvlies gefärbt werden (engl. "Dyeing in the Wool " - optional), bevor es zu Faden versponnen wurde.

Nach dem Spinnen konnte der dünne Wollfaden noch verzwirnt werden. Dabei wurden mehrere Spulen auf eine Drillierbank gesteckt und zur gewünschten Stärke zusammengedreht. So entstand ein dickeres Garn, das zum Stricken oder Weben verwendet werden konnte. Das Wollgarn für die Webkette sollte dünn gesponnen und stark gezwirnt sein, das für den Eintrag und zum Verstricken hingegen war gröber und weniger stark gezwirnt. Erhaltene Funde (wie zB vom Tiroler Grautuch) zeigen jedoch auch, dass nicht nötigerweise verzwirnt werden musste, um einen Faden zu Stoff verweben zu können. (Vielen Dank an Beatrix Nutz für diese Anmerkung).

Das gesponnene Wollgarn wurde dann auf die Haspel gewickelt, ein hölzernes Gerät mit vier bis sechs sternförmig angeordneten, beweglichen Armen. Am Ende eines jeden Arms befand sich ein Querholz. Rund um diese Querhölzer konnte das Garn gespannt und aufgewickelt werden. Dadurch erhielt man gleichmäßige Garnstränge bzw. -strähnen, die sich gut waschen und färben (optional) ließen.

Verschiedene Verarbeitungsstufen von Wolle: Hinten links ist eine Handspindel mit grauem Faden zu sehen. Daneben liegt gewaschenes Wollflies, da noch kardätscht werden muss.
Rechts vorne ist ein zum Spinnen vorbereiteter Kammzug zu sehen und daneben ein Knäuel gesponnener Faden. Links liegen Wollstoffe in verschiedenen Qualitäten - der graue ist Loden, der braune Köper ganz unten ein handgewebter Stoff.

Anschließend wurde die Wolle zu Tuch gewebt. Gebräuchlich war die Verwendung des Horizontal-Trittwebstuhls, auf dem – begrenzt durch die Armspannweite des Webers/der Weberin – Stoffe mit einer Breite von ca. 70 cm gefertigt wurden. Die üblichen Bindungsarten waren (Lein)Tuchbindung und verschiedene Köpervarianten.

Aus dem fertigen Wollgewebe konnte schließlich der dicke und wasserundurchlässige Loden hergestellt werden. Durch Walken wird dabei das Gewebe verdichtet, schrumpft bis zu 30% ein und verfilzt so, dass die Gewebestruktur nicht mehr sichtbar ist. Als Walkmittel verwendete man früher entweder Gerbsäuren aus Eichenholz oder eine Mischung aus Holzasche und abgestandenem Urin. Das Tuch musste längere Zeit mit hölzernen Prügeln oder mit den Füßen gestampft werden; später übernahmen diese Arbeit die Stampfmaschinen, die vielfach an Kornmühlen angeschlossen waren (1389 -  erste in Tirol urkundlich bezeugte Walkmühle). Nach dem Walken ließ man den verfilzten Stoff trocknen; danach wurde er geglättet ("geschoren") und fallweise auch mit einer Kardenbürste (bestückt mit Distelköpfen der Weberkarde) aufgeraut.

 

Quellen: Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde,  www.volkskundemuseum.it/de/altes-handwerk.asp
Die Bäuerliche Nutzweberei im Gadertal, Verena Staggl, 1983


English summary: This article gives a general overview on sheep breeding and the quality of the wool textiles in medieval Tyrol and lists the individual tasks needed to produce woolen fabrics from fleece.